Latein

Bildungswert des Faches Latein

„Wie eine Pinie“: So beschreibt ein Augenzeuge, der achtzehnjährige Plinius, die Eruptionswolke beim Ausbruch des Vesuvs im Jahre 79 n. Chr. Aufgrund seiner genauen Naturbeobachtung ist Plinius zum Namensgeber dieser Art von Vulkanausbrüchen geworden. Mit gleicher Anschaulichkeit schildert er, wie sich sein Onkel, ein berühmter Universalgelehrter, in dieser Extremsituation verhält: Als Flottenkommandant begibt er sich durch eine spontane Hilfsaktion für seine Mitbürger in Lebensgefahr und zeigt noch im Sterben philosophische Gelassenheit.

Aktualität des Faches

Bis in unsere Zeit ist Plinius‘ einzigartige Beschreibung in Romanen, Filmen und Werken der bildenden Kunst immer wieder rezipiert worden. Zusammen mit den archäologischen Zeugnissen aus den vom Vesuv verschütteten Städten gibt der literarische Text einen faszinierenden Einblick in das Leben der Römer.
Im Lateinunterricht beschäftigen sich die Schülerinnen und Schüler von Anfang an mit lateinischen Texten, die sie zum Nachdenken herausfordern und emotional ansprechen. Sie werden angeregt, sich mit der Lebens- und Gedankenwelt der Römer auseinanderzusetzen. Infolge vielfältiger literarischer Erfahrungen gewinnen sie so ein breites Orientierungswissen. Dabei werden ihnen auch Kontinuität und Diskontinuität in der Auffassung von menschlichem Denken und Handeln bewusst. Durch die gewonnenen Erkenntnisse erlangen sie ein vertieftes Verständnis für ihr aktuelles Lebensumfeld und können auf dieser Grundlage ihr Handeln reflektiert und nachhaltig gestalten.

Bildung durch Sprache

Bei der Auseinandersetzung mit lateinischen Texten erfahren die Schülerinnen und Schüler, dass inhaltliche Aussagen eng mit ihrer sprachlichen Gestaltung verknüpft sind und in verschiedenen Sprachen unterschiedlich ausgedrückt werden. Durch die Arbeit mit lateinischen Texten schulen sie ihr Sprachbewusstsein, erweitern ihre Ausdrucksmöglichkeiten im Deutschen und lernen, bewusst mit der eigenen Sprache umzugehen. Reflektierende Sprachbetrachtung ermöglicht ihnen, unterschiedliche Funktionsweisen von Sprache als Mittel menschlicher Kommunikation zu erkennen. Gleichzeitig erfahren sie, dass die jeweilige Lebenswirklichkeit Sprache prägt und verschiedene Möglichkeiten des sprachlichen Ausdrucks die Wirklichkeit unterschiedlich widerspiegeln.
Zudem entdecken sie die Verwandtschaft unterschiedlicher Sprachen, indem sie das Weiterwirken des Lateinischen als Basissprache Europas – besonders im Englischen und in den romanischen Sprachen – beobachten und die erworbenen Kenntnisse in ihren Lernprozess integrieren. Damit leistet das Fach Latein einen grundlegenden Beitrag zu der für das Gymnasium charakteristischen Mehrsprachigkeit.

Bildung durch Literatur

Nach dem Abschluss der Spracherwerbsphase beschäftigen sich die Schülerinnen und Schüler mit literarischen Texten vielfältiger Inhalte, Textsorten und Gattungen aus unterschiedlichen Epochen. Ihnen begegnen grundlegende philosophische Standpunkte, Modelle des Weltverständnisses, unterschiedliche Wertvorstellungen sowie menschliche Verhaltensweisen in wesentlichen Lebenssituationen. Sie erkennen das Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft und ermessen die Bedeutung politischen Handelns für ein funktionierendes Gemeinwesen.

Persönlichkeitsentwicklung

Die Beschäftigung mit den im Lateinunterricht behandelten Texten leistet einen wichtigen Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen und befähigt sie zur Empathie. Sie setzen sich in historischer Distanz mit ihnen zunächst fremden Vorstellungen und Kulturen auseinander, stellen eigene Welt- und Wertvorstellungen infrage und entwickeln Verständnis für und Toleranz gegenüber anderen Lebensformen und ‑entwürfen.

(Auszug aus dem Bildungsplan 2016)