Abiturrede von Leyan Jansen (gehalten am 19. Juli 2025)
Abschluss
13 Jahre sind offiziell rum. Ich habe an dieser Schule so viel erlebt. Und noch mehr habe ich gelernt.
Während ich den Blick zurückwerfe, erkenne ich wie viel mehr unsere Gesamtschule doch ist, mehr als ich dachte.
Sie ist nicht einfach „ein Ort des Lernens“,
Sie ist der Ort, an dem wir aufwachsen.
Der Ort, an dem wir Freund*innen finden,
uns streiten, auseinandersetzen, Konflikte führen.
Es ist der Ort, an dem wir Leistung bringen müssen, beurteilt werden, bewertet.
Der Ort, an dem wir lachen, raufen und im Glück schwelgen.
Es ist der Ort, an dem alles passiert.
Das Abbild einer kleinen Gesellschaft.
Hier trifft fast alles auf fast jeden.
An der Staudinger Gesamtschule trifft sich jede Religion.
Ob Protestant, ob Muslim, Buddhist, Hindu oder Atheist.
Es trifft sich jede Nationalität.
Ob Französin, Nigerianerin, Deutsche, Syrerin oder Italienerin.
Es trifft sich jede Sexualität.
Ob hetero, schwul, lesbisch, bi, asexuell, aromantisch oder pan.
Es trifft sich jede Identität.
Ob cis, trans, nonbinär, two spirit oder agender.
Es treffen Menschen aufeinander.
Es trifft „anders“ auf „die Norm“,
Verständnis auf Respekt.
Es trifft Unwissenheit auf Wut,
Pubertät auf Reife,
Angst auf Herausforderung,
Es trifft Neugier auf Langeweile,
wie Fünftklässler auf Oberstufenschüler*innen.
Es treffen Menschen aufeinander,
Bunt, laut und definitiv nicht konfliktlos.
Staudi sein – das heißt Begegnung.
Das heißt sich auseinanderzusetzen mit der Diversität einer Gesellschaft.
Es bedeutet lernen zu dürfen – und zwar zusammen.
Es bedeutet, dass Gemeinschaft und Hilfsbereitschaft wichtiger sind als Noten, zumindest bis Klasse 8.
Es bedeutet niemanden zurückzulassen, zu versuchen alle mitzunehmen.
Staudi sein, dass bedeutet Vorurteilen zu begegnen, die von all jenen kommen, die sie nie besucht haben…
Ein Staudi weiß, was er an dieser Schule hat.
An diesem Ort, an dem engagierte Lehrer*innen Veränderung schaffen,
Möglichkeiten nutzen.
An dem jedem eine Chance zuteilwird.
An diesem Ort, an dem Demokratie gelebt und gelehrt wird.
An der Staudi wird vermittelt, dass:
– Respekt für jeden Menschen gleichermaßen gilt.
– jede Person ihre eigene Geschichte hat.
– dass Projektwochen einfach toll sind, und dass wir mehr davon wollen.
– frei zu lernen inspirieren kann
– jede Idee es wert ist, sie zu teilen
– Träume manchmal eben doch umsetzbar sind.
An der Staudi wird vermittelt, dass man nicht alles alleine schaffen muss.
Schule ist ein ständiges auf und ab.
Ein „Ich habe keine Lust mehr“
und ein „Ich freue mich schon…“
Es war lachen und freuen und stolz sein.
Aber auch weinen, verzweifeln und Angst haben.
Es war ein Ort, an dem ich nicht zu glauben gewagt habe, meinen Abschluss zu schaffen.
Ich war an einem Punkt, an dem für mich nichts mehr Sinn gemacht hat, nicht einmal das Leben.
Mit Therapie und Medikamenten, mit ganz viel Unterstützung und Menschen, die an mich glauben, habe ich es geschafft.
Mit der Unterstützung einer Lehrerin, die mich in der Klinik besucht und ein Buch mitgebracht hat.
Mit der Unterstützung einer Stufenleitung, die alles ermöglichte, damit es einem gut geht.
Durch die Schulsozialarbeit, die mich stets erinnert hat, dass das Leben mehr ist als Schule und Leistung. Dank so vielen Menschen, die stets mehr in mir gesehen haben als ich in mir, kann ich heute hier stehen.
Und auch dank dieser Stufe.
Die mich aufgenommen hat, ohne Fragen zu stellen.
Sie hat mich miteinbezogen, ohne darauf zu warten, darum gebeten zu werden.
Ich habe diese Stufe kennenlernen dürfen.
Und erfahren, dass sie voller bewundernswerter Menschen ist.
Ich durfte Bruchstücke einiger ihrer Geschichten erfahren.
Ich durfte mit euch lachen, und weinen und verzweifeln und alles machen außer das, was wir hätten tun sollen.
Ich durfte ganz ich selbst sein und musste keine Angst haben, gesehen zu werden.
Meine Narben, meine Tränen und Struggle zu zeigen.
Ich durfte mich in Kahoot mit euch batteln und schmunzeln über Witze, die unverschämt, frech und genial waren.
Ich musste mich nicht verstecken.
Ich durfte herausfinden, wer ich bin und entdecken, wer ich sein könnte.
Die Institution Schule hat uns alle an unsere Grenzen gebracht.
Sie hat Tränen gefordert.
Sie hat weh getan.
Sie hat Angst gemacht.
Sie hat verzweifeln lassen.
Sie hat uns unseren Wert über Noten definieren lassen.
Unsere Zukunft abhängig gemacht von äußeren Beurteilungen.
Hürden und Unverständnis, rassistische, diskriminierende Strukturen gab und gibt es leider zur Genüge.
Und –
Sie hat uns zum Lachen gebracht,
zum Träumen und Nachdenken.
Sie hat unseren Dialog gefördert,
unser kritisches Hinsehen.
Sie hat manch einen aufgefangen.
War ein Ort zum Spielen, Lernen und Entdecken.
Ein Ort von Freundschaften, Communitys und Wertschätzung.
Schule ist weder gut noch schlecht, sie ist all das, was Sie gehört haben und noch so viel mehr.
Sie ist das, was wir aus ihr machen.
13 Jahre sind offiziell rum.
Also lasst uns den Blick nach vorne richten.
In eine Zukunft, die ungewiss und beängstigend ist:
Die Klimakatastrophe, ein Rechtsruck der Gesellschaft, Radikalisierung – überall.
Fake News, Hass und Hetze.
Lasst uns den Blick nach vorne richten.
In eine Zukunft, die aufregend und unbekannt ist.
Die geformt werden kann.
Solidarität, Demokratie und Respekt müssen gelebt werden.
Von niemand geringerem als uns.
Wie sagt man so schön: „Jede Veränderung beginnt in dir selbst“
Reist und lernt neue Menschen und Kulturen kennen.
Reflektiert und bleibt offen.
Lebt Respekt und Toleranz wie ihr es jetzt schon tut.
Wir können Veränderung schaffen.
Ob Politiker*in, Forscher*in, Lehrer*in
ob Ausbildung oder Studium
ob Vollzeit-Aktivist*in oder Teilzeit-Künstler*in
ob Germanistik, Soziale Arbeit, Pharmazie oder Medizin.
Ob eigene Kinder, Adoption, Katzen oder alleine.
Egal was ihr macht.
Egal wie ihr, wie wir unsere Zukunft gestalten:
Wir werden es gut machen
Egal was kommt, wir sind gut so wie wir sind.
Unser Weg gehört nur uns und darf so bunt, vielfältig und chaotisch sein wie wir als Stufe und als Gesellschaft sind.
Ich durfte hier an der Staudinger, an dieser Schule, in dieser Stufe, mit all diesen Menschen,lernen, wer ich bin und entdecken, wer ich in Zukunft sein könnte.
Danke.